Lesung der bosnisch-deutschen Autorin Safeta Obhođaš an den Kaufmännischen Schulen HanauZwischen allen Stühlen
Die deutsch-bosnische Schriftstellerin Safeta Obhođaš las vor den 11ten Klassen des Beruflichen Gymnasiums aus ihren Werken.
Safeta Obhođaš musste 1992 vor dem Terror sogenannter „ethnischer Säuberungen“ aus ihrer Heimat Bosnien fliehen. Sie kam nach Wuppertal, wo sie ihrer schriftstellerische Karriere nach wenigen Jahren in deutscher Sprache fortsetzte.
Obhođaš hatte in Sarajewo unter anderem als Journalistin gearbeitet und war in Bosnien mit Kurzgeschichten, Erzählungen und Hörspielen erfolgreich.
In Hanau las die Autorin unter anderem aus ihrem 1993 erschienen Roman „Scheherezade im Winterland“. Der Roman erzählt, wie ein junges Mädchen aus einer traditionell eingestellten muslimischen Familie im kommunistisch regierten Jugoslawien ihre Liebe zu Schrift und Literatur entdeckt. Die schwierige Identitätsfindung zwischen der muslimischer Religiosität, die vor allem der Onkel der Protagonistin verkörpert, und der kommunistischen Diktatur unter Tito ist das Thema des Romans. Dabei wird keine Seite von der Autorin geschont. Die Geschlechterstereotype, die in der muslimischen Gemeinschaft vorherrschen, behindern die Selbstfindung der jungen Frau ebenso wie die Propagandalügen und der Zwang zum Kollektiv durch die Kommunisten. Idealisten auf beiden Seiten werden mit ihren Hoffnungen, aber auch mit ihrer Verbohrtheit und Intoleranz dargestellt. Beiden Gruppen gemein ist, dass sie – wenn auch auf unterschiedliche Weise – patriarchalisch organisiert sind und die Freiheit von Frauen einschränken. Während in den dörflichen traditionellen muslimischen Gemeinden Frauen auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau beschränkt bleiben sollen, wird ihnen von der kommunistischen Führung zwar das Recht auf Bildung und Beruf zugestanden, jedoch bleibt die Hausarbeit alleinige Pflicht der Frauen, die auch als „moderne Frauen“ ihren Männern dienen sollen.
Die Hanauer Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums der Kaufmännischen Schulen lasen in ihren Klassen Kurzgeschichten und die Novelle „Funken aus einem toten Meer“ von Safeta Obhođaš. Auch in diesen Werken sind die Themen der Autorin klar zu identifizieren: Flucht und Vertreibung, das Leben in der Fremde, Kritik daran, wie traditionelle muslimische Gemeinschaften die Individualität und Selbstverwirklichung vor allem von Frauen einschränken. Dass Letzteres für muslimische Leserinnen und Leser eine Provokation darstellen kann, wurde auch bei der Lesung in Hanau deutlich. Die Autorin wurde aus dem Publikum gefragt, warum sie als Muslima „gegen Muslime hetze“. Safeta Obhođaš hat sich an diese Kritik gewöhnt, der sie häufig begegnet, wenn sie in Schulen aus ihren Werken liest. Die bekennende Muslima hält jedoch daran fest, dass sich auch muslimische Gemeinschaften einer (selbst-)kritischen Auseinandersetzung mit ihren Überzeugungen und Glaubensinhalten stellen müssen.